Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 19.01.2017 – VI R 75/14 die bisherige vorherrschende Ansicht, wie die zumutbare Belastungsgrenze bei außergewöhnlichen Belastungen zu ermitteln ist, geändert. Die Finanzverwaltung ist der geänderten Rechtsprechung gefolgt und hat das Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht, BStBl. I 2017, S. 684. Da die Einkommensteuerbescheide der letzten Jahre wegen dieses Verfahrens insoweit regelmäßig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig ergangen sind, ist es nun noch möglich, Einkommensteuerbescheide der Vergangenheit zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern.
Was sind außergewöhnliche Belastungen und wie werden diese bei der Einkommensteuer berücksichtigt?
Bestimmte private Aufwendungen können in schwierigen Lebenssituationen als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sein und die Steuerlast senken, beispielsweise Krankheits-, Pflege-, Behinderungskosten. Die außergewöhnlichen Belastungen allgemeiner Art sind zwar der Höhe nach unbegrenzt absetzbar, allerdings erst, wenn sie die zumutbare Belastung übersteigen. Wie hoch die zumutbare Belastung ist, hängt von der Höhe der Einkünfte und der Lebenssituation (verheiratet, alleinstehend, Anzahl der Kinder) ab, sog. Belastungsgrenze. Während die Belastungsgrenze bei Alleinstehenden mit Einkünften über 51.130 Euro 7 Prozent betrug, beträgt diese bei Verheirateten mit 3 Kindern bei Einkünften bis 51.130 Euro 1 Prozent ihrer Einkünfte. Abweichend von der bisherigen Verwaltungsauffassung, wonach sich die Höhe der zumutbaren Belastung ausschließlich nach dem höheren Prozentsatz richtet, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschreitet, ist die Regelung nach der Entscheidung des BFH vom 19.01.2017 so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet wird.
Beispiel:
A ist alleinstehend und hatte 2015 Einkünfte von 60.000 Euro. Nach dem bisherigen Gesetzesverständnis betrug die zumutbare Belastung für A 7 Prozent von 60.000 Euro, mithin 4.200 Euro. Wenn A 5.000,00 Euro Krankheitskosten in 2015 hatte, dann konnten 800 Euro als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden. Aufgrund des Urteils des BFH vom 19.01.2017 beträgt die zumutbare Belastung für A nun 3.535,30 Euro (15.340 x 0,05 + (51.130 – 15.340) x 0,06 + (60.000 – 51.130) x 0,07), so dass nach neuerer Rechtsprechung 1.464,70 Euro angesetzt werden können.
Für wen lohnt sich eine Überprüfung der Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2016?
Für Steuerpflichtige, bei denen im bereits ergangenen Einkommensteuerbescheid bereits außergewöhnliche Belastungen abgezogen worden sind und bei denen die Einkünfte höher als 15.340 Euro sind, dürfte sich eine Überprüfung lohnen. Hier ist eine Erstattung zwischen 20 und 200 Euro möglich. Diese sollten sich an ihren Steuerberater oder Lohnsteuerhilfeverein wenden. Bei Steuerpflichtigen, die die zumutbare Belastung nur knapp unterschritten haben, könnte sich eine Überprüfung ebenfalls lohnen.