Dürfen Unternehmen, die ihre analogen Belege einscannen und elektronisch weiterverarbeiten, die Originale vernichten?
Handelsrechtliche und steuerrechtliche Vorgaben
Die Aufbewahrungsvorschriften im Handels- und Steuerrecht, vgl. §§ 239, 257 HGB, 147 AO, ermöglichen seit Längerem die ersatzweise Aufbewahrung von elektronischen Dateien auf Datenträgern, wenn und soweit dies den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht und die bildliche Übereinstimmung, die Verfügbarkeit und die Lesbarmachung während der Aufbewahrungsfrist sichergestellt sind. Maßstab hierfür waren zunächst die auf Basis des BMF-Schreiben vom 7.11.1995, BStBl I 1995, S. 738 entwickelten Grundsätze ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS). Diese in der Verwaltungsvorschrift niedergelegten Anforderungen machten ein ersetzendes Scannen für kleinere Unternehmen jedoch völlig unpraktikabel. Die GoBS verlangten die hard- und softwaremäßige Sicherstellung der Unveränderbarkeit des Scan-Ergebnisses, was im Regelfall den Einsatz sogenannter WORM(write once read many)-Speichermedien erforderte. Die Vorgaben zur Verfahrensdokumentation und zum internen Kontrollsystem machten eine externe Zertifizierung des Scan-Prozesses häufig unerlässlich.
E-Government-Gesetz und RESISCAN
Mit dem E-Government-Gesetz (EGovG) vom 25.07.2013 wurde der rechtliche Rahmen für eine papierlose Aktenführung in Bundesbehörden und Landesbehörden und Gemeinden, die Bundesrecht ausführen, geschaffen. § 7 Abs. 1 EGovG verlangt für die elektronische Aktenführung, dass die bildliche und inhaltliche Übereinstimmung der Scan-Datei mit dem Papierdokument nach dem Stand der Technik sichergestellt ist. Den aktuellen Stand der Technik gibt die Technische Richtlinie (TR) 03138 „Ersetzendes Scannen“ des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (RESISCAN) wieder.
Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)
Mit dem BMF-Schreiben vom 14.11.2014 zu den Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD), BStBl I 2014, S. 1450, wurden die Anforderungen an die elektronische Erfassung von analogen Dokumenten und die Aufbewahrung der derivativen Dateien neu bestimmt. Danach können Papierdokumente durch den Scanvorgang in elektronische Dokumente umgewandelt und anstelle der analogen Dokumente aufbewahrt werden. Hierfür bedarf es einer Organisationsanweisung, die unter anderem regelt, wer scannen darf, zu welchem Zeitpunkt gescannt wird, welches Schriftgut gescannt wird, ob eine bildliche oder inhaltliche Übereinstimmung mit dem Original erforderlich ist, wie die Qualitätskontrolle hinsichtlich Lesbarkeit und Vollständigkeit erfolgt und wie Fehler protokolliert werden. Die konkrete Ausgestaltung dieser Verfahrensdokumentation ist abhängig von der Komplexität der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, dessen Organisationsstruktur sowie des eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms. Im Anschluss des Scanvorgangs darf die weitere Bearbeitung nur mit dem elektronischen Dokument erfolgen; die Papierbelege sind dem weiteren Bearbeitungsgang zu entziehen, damit auf diesen keine Bemerkungen und Ergänzungen vermerkt werden können, die auf dem elektronischen Dokument nicht enthalten sind.
Beweiswert gescannter Dokumente vor Gericht
Die prozessrechtlichen Beweisvorschriften kennen keinen Beweisantritt durch Übermittlung von Scan-Dateien oder durch Vorlage von Ausdrucken derselben. Lediglich die von einer Behörde oder einem Notar gescannten Dokumente haben unter bestimmten Voraussetzungen die gleiche Beweiskraft wie eine öffentliche Urkunde. Damit unterliegen die von Privatpersonen und Unternehmen erzeugten Dateien als Objekte des Augenscheins der freien Beweiswürdigung durch das Gericht. Eingescannte Dokumente können im Gerichtsverfahren durchaus geeignete Beweismittel darstellen, wenn gleich ihnen nicht in jedem Fall der gleiche Beweiswert wie einer Papierurkunde zukommt. Vielmehr ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung maßgeblich, welche Partei zu welchem Zeitpunkt ein Manipulationsinteresse hätte haben können und inwieweit konkrete Einwände gegen die Integrität des Scan-Produkts ausgeräumt werden konnten. Dabei gilt: Je aufwendiger Maßnahmen zum Schutz der Integrität vorgenommen wurden, desto höher war auch der Beweiswert des Scan-Produkts. Bei Verlagerung des Scan-Vorgangs auf einen externen Dienstleister – insbesondere den Steuerberater – wird die Integritätsvermutung erheblich erhöht, weil dieser in der Regel kein Manipulationsinteresse haben dürfte.